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Hinweisgeberschutzgesetz: Mehr Melden für Deutschland

Wie inzwischen allseits bekannt: Im Juli 2023 trat das Hinweisgeberschutzgesetz (HinSchG) als verspätete Umsetzung der bereits seit 2019 bestehenden EU-Whistleblowing-Richtlinie in deutsches Recht in Kraft. Das Gesetz enthält bestimmten allgemeine Schutzvorkehrungen, z. B. das bußgeldbewährten Verbot hinweisgebende Personen zu benachteiligen. Und für Unternehmen mit mehr als 49 Beschäftigten auch spezielle Vorgaben zur Einrichtung von internen Meldestellen. Entsprechend war derjenige Teil der deutschen Wirtschaft, der nicht ohnehin schon ein Hinweisgeberschutzsystem aus anderen Gründen, z. B. zur Aufdeckung von Wirtschaftskriminalität, eingerichtet hatte, den Sommer über beschäftigt, Meldestellen aller Couleur einzuführen. Natürlich interessiert das Ergebnis dieser vielfältigen Bemühungen.

Whistleblowing im Sonderfall Deutschland

Und so titelte die Wirtschaftswoche am 19.01.2024 „Viel zu wenig Meldungen für die Unternehmen“. Die WiWO bezog sich dabei auf Auswertungen von Meldezahlen aus Jahresberichten deutscher DAX-Unternehmen. Fraglich ist, ob die Zahlen bereits die neue Gesetzeslage widerspiegeln oder nicht vielmehr das Davor. Und ob daraus ein Versagen (wenig Meldungen gleich schlechte Meldesysteme) oder gar eine Überperformance (wenig Meldungen gleich wenig Unrecht) der Unternehmen abgeleitet werden kann.

Grundsätzlich ist die Datenlage zu Meldungen in / aus Unternehmen in Deutschland recht dünn. Sie suggeriert jedoch eine überwiegend positive Wirkung. In den vergangenen Jahren sind zudem diverse kluge Dissertationen zum Thema Hinweisgeben entstanden. Diese weisen unterschiedliche Schwerpunkte und empirische Erkenntnisse auf, die hier nur in Ansätzen dargestellt werden können. Sie alle zeigen die psychologische und gesellschaftspolitische Komplexität der Thematik auf:

Charakter, Geschichte oder Politik – das ist hier die Frage

So stellte Sebastian Oelrich in seiner Dissertation “Whistleblowing as a means to detect and prevent fraud: Four essays from different behavioral and economic perspectives” fest, dass es im Grunde weniger auf die externen Faktoren, wie etwa Meldemöglichkeiten oder gesetzlichen Schutz ankäme. Vielmehr sei Whistleblowing eine individuelle Verhaltensfrage. Moritz Valentin Fischers Thesen, die er anschaulich in „Personality and Whistleblowing“ darlegt, haben eine ähnliche Stoßrichtung. Er stellt im Rahmen seiner Untersuchung fest, dass „situative und personenbezogene Einflüsse auf Whistleblowing-Entscheidungen nicht getrennt voneinander betrachtet werden können“ [Hervorh. d. Autorin]. Er vermutet, dass es daher auch zu kulturellen Unterschieden kommen könnte. Es könnte also die Frage erlaubt sein, aus welchem Grund gerade in Südamerika so eifrig gemeldet wird, wie die Wirtschaftswoche im o. g. Artikel Transparency International zitierte.  

Robert Brockhaus stellt das Hinweisgeben in seiner ebenso fesselnden Dissertation „Geheimnisschutz und Transparenz“ zusätzlich in einen geschichtlichen und rechtlichen Kontext mit all seinen deutschen Besonderheiten. Insbesondere spielen die einzigartige deutsche Geschichte und ein gewisses politisches Phlegma eine Rolle. So sei in Deutschland das Thema Geheimhaltung durch alle Zeiten besonders ausgeprägt gewesen und – wie oft diskutiert – die gedankliche Nähe vom Begriff des Whistleblowings, als Instrument des Aufdeckens struktureller Missstände in Organisationen, und der Denunziation, also Verrat oder Nestbeschmutzung, fest und nachvollziehbar historisch verankert. Allen fallen hierzu sofort die Stichworte Nazi-Regime und Stasi-Überwachung ein. Dazu kommt eine Politik, die trotz erhöhter gesamtgesellschaftlicher Transparenzansprüche unentschlossen und zögerlich agiert und erst mit Bußgeldern in Millionenhöhe seitens der EU zur Einführung von einfachen Hinweisgeberschutzregeln gebracht werden musste.

Eventuell helfen diese wissenschaftlichen Arbeiten zu verstehen, weshalb Deutschland in Sachen Whistleblowing offenbar nachholen muss. Alle Erklärungsansätze für die spezielle Situation in Deutschland seien jedoch dahingestellt, eines ist sicher: Deutschland benötigt mehr gesunde Meldekultur in Wirtschaft, Behörden und dem Non-profit-Sektor.

Mehr Melden weniger Ärger

Nicht nur die Erfahrung aus der Ermittlungstätigkeit der Autorin zeigt: Organisationen profitieren in der Regel von frühzeitiger Entdeckung und Aufklärung von Missständen und Verdachtsmomenten sowie vor allem von entsprechender Maßnahmenergreifung. (Ausgenommen sind natürlich Unternehmen mit Geschäftsmodellen, die auf unrechtmäßigen Prozessen und Geschäftsgebahren beruhen und somit auf deren Fortführung angewiesen sind.). Eine offene, vertrauensvolle Unternehmenskultur, in welcher sichtbar Missstände abgestellt und vor allem auch disinzentiviert werden, verbessert einerseits das Betriebsklima, ein nicht zu vernachlässigender Faktor in Zeiten des Fachkräftemangels. Andererseits kann man, wie in allen Beiträgen zum Hinweisgeberschutz zu lesen, größeren Schaden, Ermittlungen, Bußgelder, Stress und sogar graue Haare mit einem wirksamen Schutz vor Schlimmem und Schlimmerem, u. a. eben durch Meldungen, verhindern. Was kann also ein Unternehmen auf diesem komplexen Spielfeld leisten?

Handlungsempfehlungen für Unternehmen

Personalauswahl und Sensibilisierung

Den zuvor zitierten Dissertationen zufolge könnte von Organisationen bei der Personalauswahl, also unter Umständen per Eignungstest, die Persönlichkeitsstruktur und Meldebereitschaft von Bewerbern (mit-)berücksichtigt werden. Mit ethisch geneigtem Personal zu einer ethisch orientierten Organisation, so der Gedanke. Auch spezielle, die Ethik trainierende Schulungen könnten hierzu beitragen. Eine Belegschaft wird allerdings schon aus statistischen Gründen des Bevölkerungsschnittes aus gemischten Persönlichkeiten zusammengesetzt sein, so dass diese Maßnahmen auch Grenzen haben.

Einrichtung eines Hinweisgebersystems

So kann ein Unternehmen am besten auf der situativen Ebene der Prävention oder Schadensminderung handeln und ein effektives Hinweisgebersystem einrichten.

Auch ein deutscher Whistleblower gibt eher Hinweise, wenn er oder sie eine verlässliche und einfache Möglichkeit dafür vorfindet und sich diese nicht erst mühselig erarbeiten muss (z. B. per Suche nach einem vertrauenswürdigen Journalisten). Und es ist auch ohne empirische Untersuchung eine Binse, dass „potenzielle Whistleblower Hinweisgebersysteme nur [dann nutzen], wenn sie das Gefühl haben, den Ansprechpersonen in den Meldestellen vertrauen und Veränderungen bewirken zu können.“ (EQS Whistleblowing Report 2021).

So kann ein Unternehmen einerseits bei der Gestaltung und personellen Auswahl der Meldestellenbeauftragten Vertrauensaspekte berücksichtigen. Und damit andererseits den verschiedenen Persönlichkeitstypen der potenziellen Whistleblower gerecht werden. Im Grunde wie es das Hinweisgeberschutzgesetz bereits durch die Vorgabe unterschiedlicher Meldewege vorgibt: persönlich oder remote, anonym oder unter Namensnennung, mit mehr oder weniger Einbindung in den Aufklärungsprozess.

Sicherstellen von Schutz und Vertraulichkeit

Der Schutz gilt ohnehin – unabhängig davon, wie sehr eine Person psychologisch als Hinweisgeber „geeignet“ ist – allen gutgläubigen Hinweisgebern. Die sich regelmäßig erst nach komplexen psychologischen Prozessen (vgl. Fischer) den Ruck zur Meldung gegeben haben.

Dieser Schutz umfasst nicht nur bestimmte Benachteiligungsverbote, Schadenersatzansprüche und drohende Bußgelder, die in die internen Prozesse und Regeln integriert werden sollten.

Sondern der Hinweisgeberschutz umfasst insbesondere Vorkehrungen zur – da ist sie wieder – Geheimhaltung; nun allerdings der Identität der hinweisgebenden Person (und unter Umständen von deren Unterstützern). Gerade die hohen Vertraulichkeits- und Datenschutzanforderungen haben es in sich und sind nicht in jeder betrieblichen Praxis von Hause aus selbstverständlich. Man hüte sich z. B. vor ungesichertem E-Mail-Versand oder gar der spontanen Durchsuchung von E-Mail-Postfächern von in Hinweisen Beschuldigten. Auch die selbständige Vornahme von Überwachungen, das Versenden von Unterlagen mit verräterischen Metadaten, und selbst das Vertrauen auf anwaltliche Schweigepflichten bei der Weitergabe von Informationen zur hinweisgebenden Person können Tücken bergen.

Immer mit Überzeugung

Wichtig sind, wie bei allen Compliance-Bemühungen: Die Überzeugung mit der Umsetzung der gesetzlichen Vorgaben auch für das Unternehmen (und die Gesellschaft) Sinnvolles zu tun und die Entschlossenheit, dafür einzustehen und die erforderlichen Mittel ein- und Maßnahmen umzusetzen.

Nie ohne Unterstützung

Dies schließt auch die Absicherung durch kompetente rechtliche Begleitung ein, ob in-house oder extern.

Wenn Sie bei der systematischen, praxistauglichen Umsetzung des Hinweisgeberschutzes in Ihrem Unternehmen Hilfe benötigen oder als Meldestellenbeauftragte mehr Licht sehen wollen, wir beraten oder schulen Sie gern.